Toggenburger Freiheitserklärung 1798 durch Karl Müller von Friedberg
Jm Namen der allerheiligsten Dreyfaltigkeit
Jch Karl Müller von Friedberg, bis anhin Hochfürstl. St. Gallischer Geheimer Rath und Landvogt in der Graffschaft Toggenburg, urkunde:
Nachdeme mehrere der wichtigsten Gemeinden des Landes öffentlich erklärt, daß sie sich von der weltlichen Regierung des Fürstlichen Stifts frey und unabhängig machen, nachdeme andere durch Errichtung von Freiheitsbäumen den gleichen Willen sattsam ausgedrücket, die Vorsteher der dritten sich über eben diesen Gegenstand in Unterhandlungen eingelassen und endlich die allgemeine Volksstimme die Vereinigung zu diesem Zweck bey obwaltenden Umständen für unausweichlich und der Landes Ruhe nothwendig erachtet:
So bezeuge ich vor Gott dem Allwissenden, daß ich vom Anfang meiner sechsjährigen Verwaltung an bis auf diesen Tag an gütlicher Vereinigung des Landes und seines Oberherren, jederzeit nach Zeit und Umständen, offentlich und heimlich in guten Treuen, ohne Arglist und Gefährde, gearbeitet, und hiemit die heiligsten Pflichten, zu denen mich mein Eid gegen den Fürsten und mein Herz gegen das geliebte Volk verbunden hat, so erfüllt habe, daß das Bewußtseyn der Unschuld mein Gewissen froh macht.
Ich bezeuge ferner, daß ich nach reifer Ueberlegung überzeugt bin, daß ich in meiner jetzigen Lage kein tüchtiges Werkzeug mehr bin, den Oberherren und das Land gütlich weder zu verbinden, noch auseinander zu setzen, worüber ich die nöthige Beweise zu machen im Stande bin; und daß die erforderliche Macht nicht mehr in meinen Handen ist, weder die Rechtsamen, die mir das Fürstliche Stift anvertrauet hat, ferner zu behaupten, noch für das Volk, Polizey und Ruhe Gesetze und Ordnung zu handhaben.
Derohalben, nachdem ich mich ferner in den Stand gesetzt habe diesen Schritt verantworten zu können, zu Verhütung des Uebels der Anarchie und zum Besten des geliebtesten Landes übergebe ich in dieser bittersten Stunde meines Lebens provisorisch die Landeshoheitliche Verwaltung der Grafschaft Toggenburg, so wie sie bis heute in mir lag, (ohne das besigelt hinterlassene Archiv, über welches ich nicht disponiren kann) dem Löblichen Landrath, wie derselbe durch den Bad. Frieden von Anno 1718 bestellt ist, oder zu weiterer Verhütung aller Zwietracht, wie die Gemeinden ihre Stellvertrettung nun einrichten werden, Sr. Hochfürstlich Gnaden und ihrem Stift, dem Lande selbst, der mir so werthen Stadt Liechtensteig, allen auswärtigen Gerichtsherren, der Parität der Religion und allen und allem. für die ich nichts vergeben kann, an ihren Rechten und eigenem gütlichen Vergleichungs-Vermögen unbeschadet und unvorgegriffen.
Unter den Schutz des Landes übergebe ich alle Personen, Eigenthum, Besitzungen, und Rechte der Fürstlichen Stift ihrer Beamteten, aller Gotteshäuser, Gemeinheiten und Privaten.
Diesen Schutz bedinge ich für mich und alle die meinige und das meinige noch besonders als ein freyer mit Toggenburg verlandrechteter Landmann zu Glarus. Und nun für mich besonders als des Landes erster und ewiger Freund, was auch immer sein Schicksal und Verfassung seyn und werden mag, flehe ich Gottes Segen auf dasselbe, wie auf mich und meine Kinder. Ich empfehle ihm seine Region jedem die seinige, vestes Zusammenhalten, brüderliche Einigkeit, den alten Sinn der Eidgenossen, offene Geradheit und Rechtschaffenheit in allen Handlungen, als die einzigen Quellen alles Heils und menschlichen Wohlstandes.
Dankbar fühle ich die Liebe mit der mich Toggenburg empfangen, und die es mir 6 Jahre so allgemein aufbewahret hat. In süßem Andenken bleibe. Sie meinen spätesten Enkeln. Wo ich immer sey so bleiben alle meine Kräfte alles was ich bin und vermag, in Rath und That, in Vermittlung und allen möglichen Diensten (nur einmal gegen die Fürstliche Stift) bey den Eidgenossen und wo es immer seye dem geliebten Lande bereitet und gewiedmet.
Wenn ich dann sint dem Anfang meiner Verwaltung ohne Stolz und ohne Druck, ohne Eingriff in des Landes Freyheiten, und auch in diesen schwierigen Zeiten ohne einige Landesbeschwärde, als eine unpartheyliche Obrigkeit, und hilfreich in allen öffentlichen Nöthen dem Lande vorstund, daß mir alles Volk dieses Zeugniß in seinem Herzen geben kann, so behalte es mir auch seine Liebe vor und mein Andenken bleibe im Segen unter seinen glücklichen Abstämmlingen.
Zu wahrer und ewiger Urkund habe ich diese Uebergabe unterzeichnet, mit meinem Sigill verwahret und dem Hochgeehrtesten Herren Landraths-Obmann Bolt zu Handen des Landes überreichen lassen.
So beschehen Liechtensteig den ersten Hornung des Eintausend siebenhundert und acht und neunzigsten Jahrs.