Der Dorfbrand von Stein
Der schon seit einer Woche andauernde, starke Föhn fegte auch am Samstagmorgen dem 29. März 1947, durch das Obere Toggenburg. Der mitgeführte Saharastaub war zwar lästig und verdunkelte den Tag, aber man konnte nichts dagegen tun. In der etwa 600 Einwohner zählenden Gemeinde Stein, die zwischen Nesslau und Alt St. Johann liegt, ahnte man um die Mittagsstunde noch nicht, welche Katastrophe sich anbahnt. Die mit Schindeln bedeckten Holzhäuser zu beiden Seiten der Thur wirkten am Tag vor Palmsonntag beschaulich. Weil es schon eine Weile nicht mehr geregnet hatte, war das Holz der Häuser vollkommen ausgetrocknet.
Gegen 13:15 Uhr entdeckte man, wie aus dem Restaurant "Ochsen" mehr Rauch als normal aufstieg. Aus dem Dach kamen die ersten Rauchfahnen. Obwohl nun rasch realisiert wurde, dass offensichtlich ein Feuer den Ochsen erfasst hatte, dauerte es trotz des Läutens der Sturmglocken noch einige Zeit bis mit dem Löschen begonnen werden konnte. Zusätzlich wurde mit Feuerhornstössen die Nachbarn zusammen gerufen.
In Stein gab es 1947 weder eine motorisierte Wasserpumpe, noch Hydranten. Die Feuerwehr musste somit viele Schläuche verlegen, bevor sie mit den beiden Handspritzpumpen Wasser aus der Thur in die Flammen spritzten konnten.
"Was laufen konnte, beeilte sich und half mit. Doch mit einer unsagbaren Wucht brach der Wind von neuem ein und das ganze Gebäude stand lichterloh vor uns. Brennende Stücke und Gluten wirbelten durch die Luft und bereits züngelte das Feuer auf dem Dach des benachbarten Hauses von Raschle und auf der Scheune, die zum Ochsen. gehörte."
Obwohl nun das ganze Dorf zu Hilfe eilte, brande der Ochsen und die angrennzende Scheune schon lichterloh. Zwischenzeitlich war auch eine Eimerkette organisiert. Die Steiner versuchten mit Wasserkübeln ein weiteres in Brand geradenes Haus zu löschen. Bei vielen Häusern, Ställen und Gaden machte der Föhn alle Löschversuche immer wieder zu nichte.
Die Flammen schlugen aus dem Dach und den Fenstern. Funken stoben und wurden zur Bäckerei "Anker" getragen, die sofort Feuer fing. Trotz umgehend einsetzendem Löschversuch und Eimerkette war es auch für die Bäckerei zu spät.
Schon stand das nächste Haus in Flammen, der angebaute Stall drohte samt Vieh in den Flammen aufzugehen. Die ersten Rufe wurden laut, dass man das Vieh aus allen Ställen in der Nähe befreien solle. Jung und Alt, die nicht beim Löschen helfen konnten, gingen umgehend in die umliegenden Ställe und trieben das Vieh ins Freie.
Inzwischen war die Feuerwehr Nesslau mit einer Motorspritze eingetroffen. Es brannten schon mehr als 14 Firste. Trotz modernster Ausrüstung mussten auch die Nesslauer fast machtlos den Bränden zusehen und konnten gegen die Feuersbrunst nichts ausrichten. Schon bald trafen auch Feuerwehren aus Ebnat, Kappel, Wattwil, St.Gallen, Buchs und Rapperswil ein. In Absprache wurden die neue Milchzentrale, das "Gasthaus Speer" sowie die beiden Kirchen von einigen der auswärtigen Wehren gesichert.
Der starke Wind wirbelte weiterhin brennende Schindeln und Gluten hoch auf und trug sie weit herum. Unglücklicherweise waren damals die meisten Gebäude noch mit Holzschindeln statt mit Ziegeln gedeckt und verkleidet. Kurz danach standen auch Häuser und Ställe im Dörfli und Hinterbühl in Brand.
"Als wir um zirka halb 2 Uhr von der Laad aus beobachteten, wie aus dem "Ochsen" in Stein Rauch aufstieg und die Flammen rasend schnell sich ausbreiteten, da ahnten wir nicht, dass das gefrässige Element in kurzer Zeit auch unsere Gegend erreichen würde. Als der heftige Sturmwind auf Südost drehte, als zwei Gaden und ein Wohnhaus am untern Ende des Wandbleiktobels schlagartig in hellen Flammen standen und im Walde am jenseitigen Rande des Tobels einzelne Feuer aufflammten, da mussten wir ein Übergreifen von Flugfeuern auf die Laad befürchten."
Plötzlich brannte das am obern Rand des Abhangs stehende Gaden des Jakob Geisser im Lee lichterloh. Umgehend entscheidet man, Wehren mit Motorspritzen aus dem Dorfkern abzuziehen und auf die Höhe zu schicken. Unter dem Kommando von Hauptmann Wagner sicherte man die Laad, um ein Übergreifengreifen des Feuers nach Nesslau zu verhindern. Aus Wassermangel wurde sogar Jauche zum Löschen verwendet.
Das Feuer breitete sich in Richtung vordere Laad aus. Die Laad ist ein hauptsächlich mit Bauernhöfen besiedeltes Gebiet oberhalb von Stein. Auch dort boten die nach Toggenburger Tratition mit Holzschindeln verkleideten Hausfassaden sowie die Dächer, beste Brandvorraussetzungen für die umherstobenden Funken.
Die Feuerwehr war trotz Motorspritzen aber ohne Hydranten fast machtlos. Wegen der bei Föhn herrschenden Windrichtung blieben in Stein die talaufwärts und die rechts der Thur liegenden Häuser verschohnt, doch in Windrichtung breiteten sich die Brände nach Westen über das Wandbleiktobel mehr als 3,5 Kilometer bis zur Laad aus.
Den Feuerwehren, die nun in rascher Folge von Nesslau und Stein in der Laad eintrafen. gelang es in harter und
aufopfernder Arbeit schliesslich die weitere Ausbreitung des Feuers zu verhindern. Begünstigt wurden Löscharbeiten durch das Abflauen des Windes und dem einsetzenden Regen.
Mit dem Postautos kamen weitere Löschmannschaften von Nesslau. Auch die Feuerwehren von Krummenau,
Ebnat-Kappel, Wildhaus. Alt St. Johann, Wattwil, Lichtensteig. Wil und St.Gallen, sowie eine Motorspritze
von Romanshorn kamen zu Hilfe.
Mit Postautos kamen die Löschmannschaften von Wattwil und Lichtensteig. Auch von Wil und St. Gallen kam Hilfe. Sogar von Romanshorn wurde eine Motorspritze eingesetzt! Doch erst beim Abflauen des Windes und mit einsetzendem Regen konnte das weitere Vordringen des Feuers verhindert werden.
Das "Gasthaus Speer", die neue Milchzentrale und die Kirchen blieben verschont, Zwei Höfe in der Nähe des Ochsen brannten dennoch nieder. Menschen kamen keine zu Schaden, allerdings konnten nicht alle Tiere aus den Ställen gerettet werden.
Das Bild zeigt das Stein am Samstagnachmittag gegen 16:00 Uhr. Die Häuser rund um den Gasthof zum "Ochsen" sind in dichte Rauchwolken gehüllt, die vom Föhn in Richtung Goggeienberg und Nesslau getrieben werden. Man erkennt bereits am Berghang oberhalb des Dorfes Häuser in Brand
Insgesamt wurden 35 Gebäude zerstört. Verschont blieben die Häuser rechts der Thur und die katholische Kirche.
Gott sei gedankt, waren keine Menschenleben zu beklagen.
Der Tag danach
18 Wohnhäuser, 17 Ställe und Scheunen, in einem Umkreis von 3.5 Kilometern und 200 bis 300 Metern Höhendifferenz, wurden eingeäschert.
Noch am Palmsonntag wurde ein Hilfskomitee gegründet, das schon am gleichen Tag Geld und Naturalien sammelte. Der Wiederaufbau kostete über 2 Millionen Franken, wovon die kantonale Gebäudeversicherungsanstalt ca. 850.000 Fr. beitrug. In der ganzen Schweiz konnte für die schwer getroffene Gemeinde noch einmal 930'000 Franken eingesammelt werden, wovon etwa 670.000 Franken für Häuser und Stallbau und der Rest für eine neue Wasserversorgung verwendet wurde. Mit dieser freundeidgenössischen Hilfe konnte den Einwohnern geholfen werden, das Dorf wieder aufzubauen und die Schäden zu beheben.
Im Vordergrund die Ruinen des Brandherds - Gasthof "Ochsen" - Das Feuer griff schnell auf die Nachbargebäude, - "Im Anker", Metzgerei Metzger, und das Haus des Dorfcoiffeurs - über, vollständig eingeäschert wurden. Am Haus des Joseph Wicki brante nur das Dach, das er mit Hilfe einiger Nachbarn löschen konnte, indem von Hand zu Hand Wasserkübel nach oben gereicht wurden.
Es wurde sogar eine Broschüre über den Brand herausgegeben. Format 22,5 x 15 cm, 31 Seiten, 9 schwarz weiss Abbildungen.
Um einen besseren Feuerschutz zu gewährleisten und gleichzeitig die zum Teil prekäre Trinkwasserversorgung einer einwandfreien Lösung entgegenzuführen, wurde eine zentrale Wasserversorgung, verbunden mit einer Hydrantenanlage erstellt und im Jahre 1952 in Betrieb genommen.